Die Customer Journey ist ein Buzzword-Dauerbrenner unter Marketeers. Kaum eine Veranstaltung ohne den Agendapunkt Customer Journey. Aber was ist dran an diesem Hype? Handelt es sich tatsächlich um einen neuen Ansatz oder ist es nur alter Wein in neuen Schläuchen?

Eine Customer Journey endet immer bei der nächsten

Vor ca. 120 Jahren präsentierte Elmo Lewis das AIDA Modell. Ein Modell, dass die einzelnen Phasen der Kaufentscheidung abbilden soll (Attention, Interest, Desire, Action). Ein relativ einfaches Modell. Was sicher auch ein Grund dafür ist, dass es auch heute noch gerne angewendet wird. Damit wird im Wesentlichen die Kundenreise vom ersten Kontakt mit der Marke oder dem Produkt (Attention (Aufmerksamkeit)) bis zum Kaufakt (Action) abgebildet. Die Schritte dazwischen sollen im Rahmen dieses Modells gesteuert werden. Die Kontaktpunkte nach dem Kauf werden allerdings nicht betrachtet

Auch das Customer Relationship Management ist ein Modell, welches versucht, die Beziehung zum Kunden abzubilden. Der Fokus hierbei liegt vor allem auf den Phasen, in denen bereits eine konkrete Kundenbeziehung besteht. Also vom ersten Moment eines konkreten Kontaktes mit dem potenziellen Kunden – etwa durch Direktmarketing oder auf der Homepage – bis zu den Phasen, in denen der Kunde im Rahmen der Nutzung noch mit dem Unternehmen kommuniziert. Kontaktpunkte vor einem ersten aktiv gesteuerten Kontakt werden ebenso wenig betrachtet wie die Kontaktpunkte, die während und nach der Nutzung stattfinden, sofern das Unternehmen nicht involviert ist.

Darüber hinaus gibt es ebenfalls noch viele Modelle, die sich mit Kontaktpunkten von Kunden und Unternehmen beschäftigen. Als Beispiele seien noch das Dienstleistungs Blueprinting, die Kundenintegration von Meffert, Critical Incident- oder auch Moment of Truth-Methoden genannt. Doch alle Ansätze betrachten immer nur einen Ausschnitt der Kundenbeziehung. Und genau dieses Manko hebt der Ansatz der Customer Journey auf. Er betrachtet die Kundenbeziehung über alle Kontaktpunkte der Verkaufsphase, der Kaufphase und der Nachkaufphase bis zur Nutzung und zur Weiterempfehlung. Oder um es prozessual auszudrücken: Es findet eine End-to-End-Betrachtung statt.

Beschreibung der Phasen der Customer Journey

Erlebniskonsistenz als Ergebnis

Doch warum kommt der Ansatz der Customer Journey erst jetzt auf? Das wird wohl vor allem an den mittlerweile vorhandenen technischen Möglichkeiten liegen. So lassen sich in sozialen Medien nämlich durchaus Kontaktpunkte mit einer Marke oder einem Produkt identifizieren, die nicht vom Unternehmen gesteuert werden. Die sogenannten „earned Touchpoints“. Also die Kontaktpunkte, die daraus resultieren, dass aktuelle Kunden über das Produkt sprechen – oder es gar weiterempfehlen. Auch die vom Unternehmen gekauften Kontaktpunkte („paid Touchpoints“) in Form von Bannern oder social Media Ads lassen sich online deutlich besser nachverfolgen als im klassischen Bereich (etwa Plakat- oder Radiowerbung). Selbst die unternehmenseigenen Kontaktpunkte („owned Touchpoints“) wie etwa die eigene Homepage lassen sich online besser nachvollziehen als etwa der eigenen Flagship-Store.

Beispiel einer Customer Journey

Aber auch ohne entsprechende, moderne Möglichkeiten zur Steuerung und Messung der Kontaktpunkte bietet die Customer Journey neue Möglichkeiten. Denn wenn ich die Kundenbeziehung von einem ersten möglichen Kontakt z.B. durch eine Empfehlung bis zu einer möglichen Weiterempfehlung betrachte, werden schnell auch mögliche Brüche deutlich. Denn Erwartungen von Kunden ziehen sich über die gesamte Reise. Und durch dieses Bewusstsein kann ich für eine Erlebniskonsistenz sorgen. Das bedeutet, dass ich Marken-, Nutzen- und Leistungsversprechen (vgl. auch Blogbeitrag) über die gesamte Kundenreise im Einklang halte. So wirbt etwa meine ortsansässige, gemeinnützige öffentlich-rechtlich Hausbank mit einem hochpersönlichen und kompetenten Service. Und dennoch werde ich bei jedem telefonischen Kontakt nach meiner eMail-Adresse und Telefonnummer gefragt. Ein klassischer Bruch in der Customer Journey.

Wettbewerbsvorteile aus der Steuerung der Customer Journey

Es lohnt sich aber nicht nur, die Reise der eigenen Kunden anzuschauen. Es wird Ihnen auch helfen, die Customer Journeys Ihrer Wettbewerber zu betrachten. Denn wenn Sie in diesen Journeys Brüche entdecken, können Sie diese für die eigene Journey nutzen. Tesla macht es gerade vor.

Nun mag man von Tesla halten, was man will. Aber Angst vor Veränderungen hat dieses Unternehmen nicht. So gehen die führenden Automarken heute noch genauso vor, wie sie es bereits vor 60 Jahren getan haben. Der Kunde soll idealerweise einen Fernsehspot oder ein Plakat sehen. Dann soll er einen Katalog anfordern, den Wagen Probefahren, eine extrem aufwendige Konfiguration (mit oder ohne Verkäufer) durchführen und letztendlich über den Preis mit dem Verkäufer im Autohaus handeln. Nach dem Kauf ist der nächste Kontakt die erste Wartung, die nur in seltenen Fällen ein Feuerwerk der Kundenzufriedenheit entfacht.

Tesla verzichtet auf klassische Werbung. Vielmehr versucht Tesla durch – durchaus auch fragwürdige – Pressemeldungen auf sich aufmerksam zu machen. Die Bestellung erfolgt komplett online – ohne große Konfigurationsorgien. Drei Modell, sechs Farben und zwei bis drei weitere Optionen. Das war es. Und dann wird der Wagen bestellt – ohne handeln und ohne feilschen. Die Fahrzeugnutzung wird durch eine App begleitet. Unternehmen und Kunde bleiben also in Kontakt und das nicht nur im Falle einer Wartung oder Reparatur. Ereignisse, die nur wenige Kunden positiv besetzen werden.

Mit diesem Vorgehen hat Tesla quasi eine Abkürzungen in der Customer Journey vorgenommen. Im Ergebnis haben sie damit nicht nur Effizienzen gehoben sondern für den einen oder anderen Kunden die Reise auch angenehmer gestaltet. Für diese Kunden hat Tesla durch ein aktives Neugestalten der Customer Journey einen Wettbewerbsvorteil geschaffen.

Es lohnt sich also, die Customer Journey genauer zu betrachten. Nicht nur um effektiver und effizienter zu werden. Manchmal lassen sich sogar neue Wettbewerbsvorteile schaffen. Weitere Beispiele können Sie übrigens auch in Folge #50 unseres Podcasts „Aus dem Maschinenraum für Marketing & Vertrieb“ erfahren. Hören Sie doch mal rein. Und in der nächsten Woche werden wir uns noch ein wenig intensiver mit den einzelnen Touchpoints beschäftigen.

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Über den Autor

Dr. Michael Stiller ist Impulsgeber und Umsetzer für die Themen Strategie, Marketing & Vertrieb. Seit über 20 Jahren berät er Unternehmen zu diesen Themen und scheut sich auch nicht Verantwortung – z.B. als Interim Manager – für die Umsetzung zu übernehmen. Seine Erfahrungen und Wissen teilt er hier und in seinem Podcast.

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