Als Greta Thunberg im Dezember ‘19 ein Foto ihrer Reise tweetete, das sie sitzend auf dem ICE-Boden zeigte, führte das zu einem PR-Desaster in der Krisenkommunikation für die Deutsche Bahn (vgl. Greta-Gate). Die Krise leitete die Social Media Abteilung der Bahn jedoch selbst ein und lieferte so ein Paradebeispiel für das Wirken der Mechanismen von Kommunikation.

Kommunikation ist mehr als Sachinhalt

Was war passiert? Um das zu verstehen, sollten wir das Thema analytisch betrachten. Hierfür sollten wir die Botschaften von Greta auf Basis der vier Ebenen von Schulz von Thun betrachten. So offenbart sich die Sprengkraft von Gretas Posting und hilft zu verstehen, an welcher Herausforderung die Kommunikation der Bahn scheiterte.

Ihr Foto kommentierte Greta mit den Worten „Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home.“ Auf der Sachebene sagt Greta also nur, dass sie sich in einem überfüllten Zug in Deutschland befindet. Und dass sie sich nun auf dem Weg nach Hause befindet. Nichts anderes zeigt auch das Foto. Soweit, so unspektakulär, oder?

Nicht ganz, denn die weiteren Ebenen dieser Text-Bild Botschaft lassen einen großen Interpretations-Spielraum her: Ist die Erwähnung des überfüllten Zugs und das Bild der sitzenden Greta ein Hinweis auf die Unzulänglichkeit der Bahn (Appell)? Oder belegt es zum Abschluss der Reise, dass das klimaneutrale Reisen an Bedeutung gewinnt und Greta das toll findet (Selbstkundgabe)?

Wir wissen es nicht. Doch die Bahn wusste es. Oder glaubte es zu wissen. Zumindest antwortete sie nach einer voreiligen schmeichelnden Reaktion angriffsfreudig. „Liebe #Greta, danke, dass Du uns Eisenbahner im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt! Wir haben uns gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst. Und das mit 100 Prozent Ökostrom. 1/2“ Weiter schreiben sie „Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist. #Greta 2/2““.

4 Ebenen der Kommunikation

Schulz von Thun unterscheidet vier Ebenen, anhand derer sich Botschaften interpretieren lassen. Das funktioniert bei persönlichen Äußerungen, aber auch bei Tweets der Bahn.

Ebenen der Kommunikation

Die erste Ebene enthält den Sachinhalt. Dieser spiegelt, worüber informiert wird. In unserem Beispiel dankt man Greta für ihren Beitrag im Bemühen der Bahn um Klimaschutz. Außerdem gibt die Bahn preis, dass sie sich über ein Lob für den Service an Bord ihres Zuges gefreut hätte.Die zweite Ebene enthält eine Selbstkundgabe, also ein Eingeständnis der Bahn gegenüber Greta, bzw. der Öffentlichkeit. Offenbar fühlte man sich gekränkt von Greta, da man sich im Recht wähnte -immerhin hatte die junge Dame ein Ticket für die erste Klasse und hätte gar nicht auf dem Boden sitzen müssen. Warum tut sie das also ausgerechnet der Bahn diesen Schwindel an?

Die dritte Ebene von Thuns enthält einen Appell. Die Bahn fordert Ehrlichkeit und Anerkennung von Greta Thunberg. Anstatt sich als Leidende auf dem Boden zu inszenieren, solle sie die Werbetrommel für den erstklassigen Service rühren und über die Vorteile einer bezahlten Leistung berichten, wenn man sich schon nicht bedankt.Die vierte Ebene der Kommunikation enthält einen Beziehungshinweis, also im Beispiel eine Aussage darüber, was die Bahn von Greta hält. Zunächst fällt auf, dass die Bahn Greta als Unterstützerin ihres Kampfes sieht und nicht etwa als Verbündete im gemeinsamen Bemühen um eine Verlangsamung des Klimawandels. Die Bahn lobt Greta dafür, dass sie mit dem ICE reist und tadelt sie dafür, dass sie nicht den Service rühmt. Die Bahn kreiert ein Beziehungsgefälle zwischen der altehrwürdigen Bahn und der kindlich-jugendlichen Aktivistin, der sie Lektionen erteilt.

Angesichts der Tatsache, dass es eine Erklärung gab, weswegen die prominente Passagierin trotz Erste Klasse Tickets auf dem Boden saß, die Bahn das aber nicht vor der Antwort recherchierte und anstatt dessen personenbezogene Daten veröffentlichte, beweist das Ausmaß der Unprofessionalität. Was hätte man also konkret besser machen können?

Auf die Wahl des Konfliktstils kommt es an

Generell lassen sich vier Konfliktstile unterscheiden: Entweder man ist selbst im Unrecht und der Kunde ist im Recht (Unterwerfen), es ist umgekehrt (Beharren/Abbügeln), beide sind im Unrecht (Vermeiden/entziehen) oder beide sind im Recht (Verbrüderung). Die Bahn wählte den Ansatz „Abbügeln“ und hat sich damit keinen Gefallen getan.

Unternehmen sollten ihren Kunden nicht die Chance geben, sie als hochnäsig und herablassend wahrzunehmen. Ein kriecherisches Entschuldigen hätte man als Kapitulation vor der Macht neuer Medien verstehen können, der Verzicht auf eine Reaktion wiederum als Ignoranz oder Unkenntnis gegenüber neuer Medien und ihren Influencern.

Mit einer Verbrüderung schafft man Augenhöhe, klärt Konflikte ohne neue zu schaffen und verliert selbst nicht das Gesicht. Über die Darstellung als gleichberechtigte Verbündete im Kampf für eine bessere Welt wäre der Bahn das gelungen.

Mit Primacy und Recency Effekt negative Botschaften kaschieren

Über die Verbrüderung alleine wäre jedoch das Problem „Greta musste auf dem Boden sitzen“ nicht gelöst – die Bahn musste Stellung beziehen. Doch wie baut man eine solche Kommunikation am Besten auf? Der Primacy Effekt besagt, dass die zuerst getätigte Aussagen besonders gut im Gedächtnis haften bleibt. Diese Botschaft gibt den Rahmen für die folgenden Botschaften vor.

Kommunikationseffekte

Machen Sie einmal den Test für sich selber: Was wirkt auf Sie besser? Der Manager, der stets mutig und entschlossen handelt, aber arrogant ist? Oder der Manager der arrogant ist, aber mutig und entschlossen handelt? Das Positive am Anfang lässt also das Negative in einem anderen Licht erscheinen.

Aber die letzte Botschaft bleibt doch länger im Gedächtnis, werden Sie nun vielleicht fragen. Richtig! Das besagt der sogenannte Recency Effekt. Doch auch die letzte Botschaft bleibt unter dem Eindruck der ersten. Also sollte die positivste Botschaft an erster Stelle genannt werden, danach die negativen Botschaften und zum Schluss die zweitstärkste Botschaft. Diese ist idealerweise auch noch zukunftsgerichtet.

In unserem Beispiel hätte die Bahn zunächst die Gemeinsamkeiten im Bestreben um ein Abbremsen des Klimawandels betonen können. Danach hätte sie sich en passant für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und zum Abschluss ein positives Signal gesetzt. Zum Beispiel den weiteren Ausbau des Schienennetzes. Mit wenigen Sätzen hätte die Bahn ein PR-Coup landen können, indem sie der kostenlosen Werbung durch eine der profiliertesten Aktivistinnen im Klimaschutz den richtigen Drall gegeben hätte.

Achten Sie also nicht nur darauf, was Sie sagen, sondern auch wie es interpretiert werden kann und in welcher Reihenfolge. Damit Ihnen das besser gelingt, hören Sie doch auch in unseren Podcast rein, der sich in Folge 49 ebenfalls mit Krisenkommunikation beschäftigt.

P.S. Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, „sharen“ oder „liken“ Sie ihn doch, um ihn auch für andere zugänglich zu machen. Oder hinterlassen Sie einen Kommentar – direkt hier oder per Mail.

Über den Autor

Dr. Michael Stiller ist Impulsgeber und Umsetzer für die Themen Strategie, Marketing & Vertrieb. Seit über 20 Jahren berät er Unternehmen zu diesen Themen und scheut sich auch nicht Verantwortung – z.B. als Interim Manager – für die Umsetzung zu übernehmen. Seine Erfahrungen und Wissen teilt er hier und in seinem Podcast.

Published On: 04. Januar 2020 / Kategorien: Blog, Marke & Kommunikation / Schlagwörter: , , , , /

Alle neuen Beiträge per eMail

Tragen Sie sich hier ein, um unsere neuesten Beiträge direkt in Ihrem Postfach zu erhalten. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Lesen Sie hier unsere Datenschutzbestimmung.